Alkoholkrank, aber heroinsüchtig? Drogen, Sucht und feine Unterschiede

Alkoholkrank oder alkoholabhängig? Heroinabhängig oder heroinkrank? Oder einfach süchtig? Sie wundern sich vielleicht und sagen „alles nicht prickelnd“. Ja, stimmt, aber bei näherem Blick wird hier mit wenigen Worten etwas ganz anderes gesagt: sehr viel über das Verhältnis unserer Gesellschaft zu unterschiedlichen Drogen.

Platzhirsch Alkohol

Viele wundern sich ja, dass man in Bayern Heroin nicht in geschützten Räumen konsumieren darf, während die Stadt für den Alkohol jedes Jahr eine gigantische Zeltstadt aufbaut. Dort wird Erstkontakt in angenehmer Atmosphäre geboten, in Begleitung erfahrener Konsumenten und inklusive engmaschiger medizinischer Überwachung, damit es keine Toten gibt. Sie kennen es natürlich – das Oktoberfest. Manche wundern sich, dass man an der Kasse bei der Norma 0,1 Liter Schnapsflaschen für einen Euro kriegt, es aber beim Arzt kein Methadon oder Heroin gibt. Alle haben schon gesehen, wie hoch der Umsatz mit den kleinen Schnapsflaschen ist. Die Chance, an einem beliebigen Tag mit mindestens einem Alkoholabhängigen in Kontakt zu kommen, dürfte in Deutschland bei ca. 100% liegen.

Die Kleinen zwischendrin am Bahnhof nach Verabreichung

Begriffe für Süchtige verschiedener Drogen

Aber zurück zum Anfang. Wie heißen die Menschen, die süchtig sind, wie werden sie genannt? Von Menschen, die zu viel Alkohol trinken und süchtig sind, wird ganz überwiegend als von Alkoholkranken gesprochen, kaum von Alkoholsüchtigen.

Gegenüberstellung von alkoholkrank und heroinsüchtig, die beide eine Abhängigkeit kennzeichnen

Ein Blick in den Deutschen Wortschatz der Uni Leipzig stützt diese Vermutung: für „alkoholkrank“ werden 63 Vorkommen registriert, für „alkoholsüchtig“ dagegen nur 11. Bei der Droge Heroin sieht das ganz anders aus: Man findet für „heroinsüchtig“ 14 Stellen, für „heroinkrank“ exakt gar keine. Beim Kokain dasselbe Bild. Offensichtlich wird die Sucht je nach Suchtmittel unterschiedlich interpretiert.

Über viele Jahre hat sich der Alkohol in der Gesellschaft eine äußerst privilegierte Stellung erarbeitet und gegen alle anderen Rauschmittel auch sprachlich sensationell effektiv verteidigt. Das geht vom absurden Vertrieb an Tankstellen und in der Kassenzone über die albern niedrige Besteuerung sowie jugendorientierte alkoholische Getränke bis hin zum begleiteten Trinken ab 14 – auch eine Idee, auf die man erst mal kommen muss. Aber passend in einem Land, in dem es immer noch legal ist betrunken Auto zu fahren. Parallel wurde sprachlich nicht die Alkoholsucht, sondern die Alkoholkrankheit etabliert.

Alkohol hat die Nase vorn

Aus Marketingsicht definitiv ein Geniestreich, denn der Krankheit haftet viel weniger Eigenverantwortung und Stigma an als einer Sucht. Krankheit ist etwas, das einen trifft, wenn auch evtl. mit etwas eigenem Zutun – aber dennoch eher schicksalshaft. Sucht dagegen ist einfach ein persönlicher Fehler, gern auch interpretiert als persönliche Schwäche. Der Alkohol spielt hier seine Marktführerschaft, seine Akzeptanz und seine Verharmlosung auf voller Linie aus. Nochmals, ein beeindrucktes Chapeau aus der Stadt, wo der Alkohol jährlich in der absurdest möglichen Form zelebriert wird.

Gibt es eine Lösung?

Um es sprachlich zu lösen, gibt es zwei Varianten: Entweder alle Abhängigen von Rauschmitteln sind krank, oder alle sind süchtig. Es ist weder vertretbar noch sinnvoll, über den Sprachgebrauch die Wertung der Sucht vorzunehmen. Die einen haben Glück, die sind legal süchtig und deshalb krank, die anderen sind illegal süchtig und deshalb einfach nur süchtig. Eine Gleichbehandlung der Süchtigen in der sprachlichen Darstellung würde dazu beitragen, Alkoholsucht gesellschaftlich als das Riesenproblem wahrzunehmen, das sie ist. So entspräche der Begriff schlichtweg der medizinischen Realität und würde die traditionelle Verharmlosung zumindest in diesem winzigen Teilbereich beenden.

 

PS: Was ist eigentlich mit dem Titel „Alkoholiker“, der im Text auch verwendet wird? Er kommt mit der Anmutung einer Berufsbezeichnung deutlich netter daher als der Junkie, teilt sich das Privileg lustigerweise mit dem Kokser. Dazu würde dann passen der Heroiker – hier mehr zum Ursprung des Markennamens Heroin, den sich Bayer 1898 als Marke eintragen ließ.

PPS: Für alle Interessierten – 2012 schrieb ich über den Filmtitel „Portraits Deutsche Alkoholiker“. Ein inhaltlich wie formal immer noch beeindruckender Film, der viel Erhellendes zur Integration von Alkohol ins Gesellschaftsleben beiträgt.

PPPS:
Interessanterweise ist es nicht nur bei illegalen Drogen anders als bei Alkohol. Auch Tablettisten und Nikotiniker werden anders behandelt, da niemand von Nikotinkranken oder Tablettenkranken spricht. Auch dies legt nahe, dass es wohl einfach eine kulturelle Tradition ist, die sich hier sprachlich ausdrückt. Allerdings kein Grund das Bestehende nicht mal zu überdenken.

 

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