Heute etwas, worauf ich durch Zufall gestoßen bin beim Durchkämmen der Mediathek des MDR. Mir geht es ja vor allem um Produkt- und Firmennamen, aber Filmtitel können genau wie allgemein Namen und Bezeichnungen banal oder besonders treffend, geistreich und vielschichtig sein. Der Name des Fernsehfilms von Edgar Kaufmann aus dem Jahr 1990, produziert vom Fernsehen der DDR, ist in jeder Hinsicht besonders:
Heimsuchung – ein besonderer Filmtitel
Kein Artikel. Kein Attribut. Nur ein Nomen in all seinen Deutungsmöglichkeiten. Letztlich kein besonders attraktiver Titel, denn klassisch ist die Heimsuchung eher negativ konnotiert. Das einzige, was einen so bei der ersten Wahrnehmung trifft, ist eine Ahnung von Schrecken und Ausgeliefertsein, dass einem etwas Schlechtes widerfährt. Dennoch ist der Titel extrem treffend und vielschichtig. Um das zu erfassen, muss man aber den ganzen Film sehen.
Das Verhältnis von Handlung und Filmtitel
Frühjahr 1990, Auflösungserscheinungen der DDR, Unsicherheit allerorten, Infragestellen des bisherigen und des bisher Richtigen – und auch des bisher Geleisteten. Ein Heimatloswerden (auch ein sehr mehrdeutiger Begriff übrigens, wenn man ihn näher anschaut) der Einwohner eines ganzen Landes, die ein Heim suchen, die verloren zu gehen drohen. Und denen das Schicksal als Bonus dann auch noch oft übel mitspielt.
Exemplarisch wird die schicksalhafte Suche an der Lehrerin Christine Rautmann im Verhältnis zu ihrem Umfeld durchdekliniert. Die Sinnsuche im Kleinen verdeutlicht der pensionierte Kollege, der offensichtlich eine innere Haltung hat, die auch einen Systemwechsel überstehen kann, selbst wenn es nur um die Art der Fortbewegung (Radfahren) und ein Hobby (Schmetterlingesammeln) geht. Wer keine solche hat, für den wird es schwer, da muss die Leere aufgefüllt werden. Bei der Protagonistin mit Schnaps, und selten wurde die Anwendung von Alkohol als Hilfsmittel und Droge so unprätentiös selbstverständlich dargestellt. Auch in dieser Dimension erfolgt die Heimsuchung. Im Laufe des Films entfaltet der Titel sein ganzes Aroma. Die Schlusseinstellung mit der beeindruckenden Hauptdarstellerin Renate Geißler sieht so aus:
Rezeption und Bekanntheit des Films
Schade, dass der Film praktisch versunken ist und man erstaunlich wenig über ihn finden kann. Es gibt nur einen klitzekleinen Wikipedia-Eintrag. Um die Filme der DEFA kümmert sich ja die DEFA-Stiftung, und das waren bei Gott nicht alles sensationelle Meisterwerke. Die Filme des DDR-Fernsehens fristen eher ein Schattendasein und es ist dem MDR und RBB hoch anzurechnen, dass er solche Perlen ab und zu abspielt. Auch die DVD-Editionen der Reihe DDR-TV-Archiv sind zu erwähnen, wobei hier der Schwerpunkt auf unterhaltsamen Fernsehserien und nicht auf wenig spaßigen Fernsehfilmen liegt – was völlig nachvollziehbar ist. Es soll ja auch was verkauft werden.
Dass „Heimsuchung“ damals kein Straßenfeger war und in der Folge dauernd wiederholt wurde, leuchtet mir ein, denn in so einer Situation wollen nicht alle nochmal alles reflektieren. Aber im Abstand, im Nachgang, ist es ein sehr zugänglicher und hellsichtiger Film, der genau beobachtet, analysiert und Unsicherheit sehr gekonnt darstellt – und im Filmtitel vielschichtig reflektiert.
Filmtitel und Erfolg
Damit wären wir wieder bei unserem Hauptthema, Namen und ihren Möglichkeiten. Bei Filmen ist der Titel ein oft unterschätzter Faktor der Vermarktung, was aber teilweise auch einfach daran liegt, dass in Deutschland öffentlich finanzierte Filme Kassenerfolg nicht dringend brauchen. Ich habe schon einige Regisseure gesprochen, denen wichtiger war, dass ihr selbst erdachter – definitiv nicht attraktiver – Titel draufsteht, als einer mit Marktpotential und Zuschauerkraft.