Rollen und Titel wirken – was Titel mit Projektteilnehmern machen

Vielen Dank an Matthias Lachmann, den ich vor 15 Jahren im Marketingclub München kennengelernt habe, für seinen Gastbeitrag in meinem Blog. Er zeigt anschaulich, wie die Rollenbezeichnungen von Mitarbeitern die tatsächliche Zusammenarbeit beeinflussen – und wie man durch Veränderung der Rollen und Titel die Effizienz steigern kann.

Wer in der agilen Softwareentwicklung tätig ist, kennt die Begriffe Produktmanager und Product Owner. Die Aufgaben der Rollen werden oft unterschiedlich verstanden. Trotz allem gibt es einen kleinsten, gemeinsamen Nenner. Dieser ist gelernt oder auch sozialisiert. Man könnte sagen, die Begriffe sind mit Bedeutung aufgeladen.

Wikipedia schreibt über den Produktmanager:
„Der Produktmanager trägt die unternehmerische Verantwortung für seine Produkte, folglich kann er auch als Subunternehmer bezeichnet werden. Damit besteht der Anspruch, dass der Produktmanager der Produkt-Markt-Experte auf seinem Gebiet ist, d.h. die Person im Unternehmen ist, die ihre Produkte und die entsprechenden Märkte am besten kennt. Er hat das Ziel, seine Produkte zum Erfolg zu führen.“

Wikipedia schreibt über den Product Owner:
„Der Product Owner ist für die Eigenschaften und den wirtschaftlichen Erfolg des Produkts verantwortlich. Er gestaltet das Produkt mit dem Ziel, seinen Nutzen zu maximieren. (…) Er erstellt, priorisiert und erläutert die zu entwickelnden Produkteigenschaften, und er urteilt darüber, welche Eigenschaften am Ende eines Sprints fertiggestellt wurden. Er ist eine Person, kein Komitee. Ihm allein obliegt die Entscheidung über das Produkt, seine Eigenschaften und die Reihenfolge der Implementierung. So balanciert er Eigenschaften, Auslieferungszeitpunkte und Kosten.“

Schon beim ersten Lesen ist zu erkennen, dass es hier massive Überschneidungen in den Aufgaben gibt. Trotz allem gibt es viele Unternehmen, in denen es sowohl Produktmanager als auch Product Owner gibt. Dies geschieht besonders häufig, wenn die Business-Seite in einer Linienorganisation steckt, während die Softwareentwicklung agile zum Beispiel nach SCRUM arbeitet.

Bei meinem letzten Arbeitgeber verfolgten wir auch das Ziel uns zu einer agilen Organisation zu entwickeln. Wir machten komplexe Software für die Immobilienwirtschaft und stellten dabei schnell fest: ein Mensch ist nicht in der Lage die Komplexität der Software, die Anforderungen der Technik und die Wirtschaftlichkeit im Einklang zu halten. Wir starteten das Experiment mit einem Produktteam aus einer Triade von drei Rollen, die gleichberechtigt agieren:

  • Die erste Rolle war der Produktmanager. Er verantwortete die Marktsicht und hatte die fachliche Verantwortung.
  • Die zweite Rolle war der Product Owner. Er verantwortete Operations (die Herstellung), führte das Backlog und überwachte Time & Budget.
  • Die dritte Rolle war der Software-Architect. Er verantwortete die Architektur, Entwicklungsmethodik und überwachte die Einhaltung der technischen Strategie.

Alle drei zusammen hatten die Verantwortung, Kundennutzen, Technik/Umsetzung und die Wirtschaftlichkeit im Gleichklang zu halten. Entscheidungen mussten immer im Konsens getroffen werden. Über die Rahmenbedingungen und die Arbeitsweisen der Produkttriade kann ich an dieser Stelle nicht berichten, das würde den Rahmen sprengen. Nur so viel: Das Modell basiert auf einem freiheitlichen Menschenbild, bei dem es vor allem darauf ankommt die Fähigkeiten des anderen zu respektieren. Die Grundlage ist zudem eine gemeinsame Vision und Identifikation mit dem Produkt.

Das Team fing sofort an sich in seine Aufgaben zu finden und hatte auch viel Spaß an der neuen Verantwortung und Freiheit jedes einzelnen. Beim Rest der Organisation sah das etwas anders aus. Auf der Führungsebene diskutierten wir viel über Verantwortlichkeiten und Aufgaben. Dabei stritten wir uns immer wieder gerne über die Rollenkonflikte von Produktmanager (PM) und Product Owner (PO) – da beide Menschen in unterschiedlichen Linien angesiedelt waren. Der PO war Teil des Bereiches Operations und verstand sich als Auftragnehmer während der PM im Bereich Business angesiedelt war, der als Auftraggeber fungierte. Kurz und knapp: der PM stand für das „Was“, der PO für das „Wie“.

Nach einem spannenden Gespräch mit dem Direktor E-Commerce Innovation & Plattform, von Otto.de war mir plötzlich klar warum wir uns so in Streitigkeiten rund um Begrifflichkeiten verloren haben. Das Dreierteam, die Produkt-Triade, ist in Wirklichkeit gemeinsam der Product Owner. Damit hatte ich allerdings ein Namensproblem, war doch der Product Owner Teil der Triade. Die Tatsache, dass ich den Begriff Product Owner wörtlich genommen und die gelernten Aufgaben des PO auf das Team übertragen hatte, führte dazu, dass ich die Mitglieder aufgrund unterschiedlicher Fähigkeiten und Fokussierungen neu benennen musste. Ich machte also einen Vorschlag zur Umbenennung der Rollen:

  • Der Produktmanager wurde zum Business-Designer
  • Der Product Owner wurde zum Production Leader
  • Der Software-Architect wurde zum Technical Designer

Damit hatte ich neue Rollenbezeichnungen, die wir selbst weiter mit Bedeutung aufladen konnten. So ist der Business Designer von der Haltung ein Design Thinker und verantwortet die Kunden-/ Marktperspektive. Er bezieht Marketing, Vertrieb und Consulting mit ein – und er führt den Business Case.
In der Rolle des Production Leaders müssen Entwicklungserfahrung und Ausbildung eines Scrum Masters vereint werden. Er übernimmt die Aufgaben eines Teammanagers/-Coach. Er bezieht Support und Requirements Engineering mit ein – und er führt das Backlog.
Der Technical Designer hat die Aufgabe die Technologiestrategie in die Systemarchitektur einzubringen und muss den Komplex „Sicherheit“ mit einbeziehen.

Und siehe da… Die Diskussionen über Rollenkonflikte wurden schwächer und gingen in Besprechungen der sachlichen Differenzen über. Aber vor allem war jedem klar, was die Aufgabe der Produkttriade war. Seit ich sie als Product Owner bezeichnet hatte, war der Begriff schon stark mit Bedeutung aufgeladen worden.

Leider musste ich auch feststellen, dass die Einführung neuer Rollen nicht so einfach ist wie es vielleicht klingt. Die neuen Begriffe mit Leben zu füllen, also mit Bedeutung aufzuladen, erfordert viel Überzeugungsarbeit – aber vor allem das Vorleben der Rollen durch die Rollenträger. Das können sie aber nur, wenn sie genau verstehen warum sie das tun, welche Freiräume sie haben und woran sie gemessen werden. Hier fällt es vor allem dem Top Management schwer von unpassenden, aber gelernten Metriken abzulassen. Aber auch dabei können neue Bezeichnungen helfen: so wird beispielsweise der Produktmanager am Umsatz gemessen, ein Product Owner sollte an Qualität und Rendite gemessen werden. Habe ich keinen Produktmanager mehr, fehlt die absolute Fixierung an Umsatz.

Nach über einem Jahr im Einsatz bleibt festzuhalten, dass die Triade erfolgreich zusammenarbeitet und es im Unternehmen keinen Dissens mehr über die Aufgaben und Rollen des Teams gibt. Inzwischen wird versucht, das Arbeitsmodell auch auf die anderen Produkte im Unternehmen zu übertragen, um die Organisation von der Linienorganisation in eine agile Produktorganisation zu transformieren.

Matthias Lachmann

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert