Im ersten Teil ging es um Musikalben, deren Tracknamen einem gemeinsamen Muster oder Konzept folgen, basierend auf der Nummeriererei. Heute geht es um andere Namenssysteme, eher morphologisch und semantisch. Es geht also ums Bauprinzip und die Bauelemente der Liedtitel sowie ihre Bedeutungen. Die klassischen monothematischen Konzeptalben wie Thick as a Brick, The Wall, Pet Sounds oder The Dark Side Of The Moon lassen wir weg. Das ist was anderes.
Der erste Kandidat ist gleich ein Knaller. Dank wieder an Hank Schmidt in der Beek für den Tipp! Es ist die Münchner Band THE SOUND OF MONEY.
Jeder Songtitel auf „More? Why Not!“ ist ein Anagram aus einem ikonischen Albumtitel der 60er Jahre, von Bands wie Beach Boys, Zombies, Bob Dylan, Velvet Underground, Sly & Family Stone, Pink Floyd oder den Beatles. Deshalb auch der Untertitel des Albums: „An anagrammatic Exorcism of the 60s“. So heißt zum Beispiel der erste Song auf dem Album „Tiger T Death Happens To A Few“. Woher das kommt? Eine Ummodelung des Pink-Floyd-Albumtitel „The Piper At The Gates Of Dawn“. Respekt, intellektuell und amüsant, eine schöne und seltene Kombi. Hier noch ein paar Beispiele mehr:
- Tiger T. – Death Happens To A Few
- You Got The Song From Rotten Syd
- Let’s Eat The Weed
- The Smile’s Gone
- Nude Spots – das war mal Pet Sounds
- O Sing It Orange To Her
- I Had 1680 Wives – das war mal Highway 61 Revisited
- No – So Easy Declared
- Neverending Love Chant Tour Dud
- Rave On, Meaty Orchids (NEW)
- Just Chirp On, Ego
- Suburb Role – das war mal Rubber Soul
An einer thematischen Klammer, der Tierwelt – so wie Dominik Eulberg – hat sich Zion Train auf dem 2000er Album „Secrets of the Animal Kingdom“ orientiert. Die zwölf sehr dubbigen Stücke aus London hören auf die Namen:
- Funnelweb
- Wild Boar
- Gavial
- Sea Otter
- Wallaby
- Fox
- Rhinoceros
- Condor
- Elephant
- Reindeer
- Scorpion
- Fiddler Crab
- Crown of Thorns
- Manta Ray
Im Vergleich zum erstgenannten Album strahlt das weniger Raffinesse aus, ist aber vordergründig leichter als systematisch wahrzunehmen. So ein schlüssiges, zusammenhängendes Namenskonzept macht schon Eindruck. Und selbst ein schlichtes, wie bloße Tiernamen, ist für den Rezipienten erfreulich.
Wenn man nicht nur auf komplette Alben schaut – eine Produktart, die es eh erst seit gut 50 Jahren gibt, so finden sich mehr Beispiele. Nämlich die Namen der einzelnen Titel in Werken, die meist als Zyklus bezeichnet werden. Sibelius zum Beispiel verfasste „Die Bäume“, dessen Einzellieder natürlich auf die Namen Eberesche, Tanne, Espe, Birke und Fichte hören. Analog bekomponierte er auch noch „Die Blumen“ mit einzelnen Stücken für Gänseblümchen, Nelke, Iris, Löwenmaul und Glockenblume.
Ein hübsches Schmankerl habe ich bei Axel Granjean gefunden. In „Bilder zu Ole Lukoie“ sind die einzelnen Stücke sehr systematisch benannt:
Montag
Dienstag
Mittwoch
Donnerstag
Freitag
Samstag
Sonntag
Der gewaltige Zyklus Licht von Stockhausen ist ebenfalls einfach in die Wochentage unterteilt. Eine Systematik, die unser Leben sicher deutlich mehr beeinflusst und bestimmt als uns bewusst ist. Sein Tierkreis, bestehend aus 24 Einzelstücken, ist lustigerweise aber ohne Satzbezeichnung.
Und nochmal Musik zu Werken von Hans-Christian Andersen. Natürlich gibt es Stückesammlungen, die einfach seinen Märchentiteln folgen. So von Ludvig Schytte, Serge Bortkiewicz, York Bowen.
Diese Konzepte lappen natürlich stark in die Programmmusik. Zu den bekanntesten Werken gehören hier sicher der Karneval der Tiere von Saint-Saens, wo die Einzeltitel – nach Tieren benannt sind. Und die Bilder einer Ausstellung von Mussorgsky, nach Bildern von Viktor Hartmann.
Das war der Ausflug in die Welt der Kunst. Wenn Sie noch schöne Beispiele wissen – gerne in die Kommentare oder per Mail an mich.
Marketing-PS: Ein Album ist ein abgeschlossenes Werk, deshalb kann man hier ein homogenes Namenskonzept wirklich schön umsetzen. Und da es im Blog ja auch ein wenig um Namen und Marketing geht – hier liegt der große Unterschied zum Markt der Produkte und Services. Ein Portfolio ist eben nicht statisch, man kennt das ja von den Autoherstellern, die inflationär neue Modelle auf den Markt bringen und denen die Buchstaben für die Typen ausgehen. Hier kommen Namenssysteme leicht an ihre Grenzen, und hier muss gut abgewogen werden, ob und wie ein enges System überhaupt sinnvoll ist. Anders in der Musik – da kann nach einem Album mit Zahlenkonzept einfach eines mit Vogelnamen kommen.
Kunst-PS: Hier noch die Rückseite vom TSOM-Album: